Еврейские судьбы: Двенадцать портретов на фоне еврейской иммиграции во Фрайбург - страница 19




Анна Резник с мужем Федором / Anna Resnik mit ihrem Mann Fedor (1946)


Seit ihrem ersten Lebenstag wusste Anna, dass sie Jüdin war. Als sie ca. sieben Jahre alt war, stellten ihre Eltern einen Lehrer für sie ein, mit dem sie ein Jahr lang Hebräisch lernte. Dann wanderte der Lehrer nach Palästina aus (wie es damals hieß), und der Unterricht hörte auf.

Mit Antisemitismus wurde sie zum ersten Mal konfrontiert, als sie evakuiert war (in Minsk gab es keinen Antisemitismus – weder in der Schule noch an der Hochschule). Es ereignete sich zum Beispiel Folgendes.

Anna war bereits als Assistentin des Staatsanwaltes tätig und brauchte eine Wohnung. Eine Tatarin, bei der sie ein Zimmer mieten wollte, empfing sie mit offenen Armen – in ihren Augen war ja Anna eine große Chefin. Dann sagte sie aber: «Es kamen einmal evakuierte Juden, aber ich ließ sie bei mir nicht wohnen». – «Ach so? Dann werde ich bei Ihnen auch nicht wohnen: Ich bin auch Jüdin». Diese einfältige und ungebildete Tatarin, die nie in ihrem Leben Juden gesehen hatte, war nichtsdestotrotz so eingestellt.

Der Chef von Anna, der Bezirks-Staatsanwalt, war auch ein Tatar. Der Ermittlungsführer und der Richter waren auch Tataren. Jedoch spürte Anna keinen Antisemitismus seitens der Kollegen.

Dann kam der neue Staatsanwalt der Republik und wählte für sich vier Juristen, um den ausschließlich aus Tataren bestehenden Zentralapparat zu stärken. Er stammte aus der Ukraine und brauchte den russischsprachigen Apparat und fachkundige Juristen. Er wählte vier junge Frauen, unter ihnen auch Anna. So fand sie sich 1943 in Kasan, im Zentralapparat der tatarischen Staatsanwaltschaft.

In Kasan war Anna zuerst als Staatsanwältin der Ermittlungsabteilung tätig (Arbeit im Apparat). Dann wurde ihr ein gesondertes Arbeitsgebiet zugeteilt – Staatsanwältin für Minderjährige: in den Fokus der Staatsanwaltschaft trat der Zustand der Jugendkolonien u. ä.


Анна Резник (2010-е) / Anna Resnik (2010er)


Vom Holocaust wusste man nahezu nichts. Man wusste allerdings, dass Ghettos geschaffen wurden und Juden «Gelbe Sterne» tragen mussten. 1943 hoffte Anna immer noch, Mamas Kindergarten aufzufinden, sie hoffte, er wäre evakuiert worden (manche Unternehmen und Anstalten waren ja evakuiert worden!).

Nach der Befreiung von Minsk im Jahr 1944 schrieben Anna und ihre Schwester mehrere Anfragen. Und von irgendjemand kam eine Postkarte, auf der es stand, dass ihre Mutter zusammen mit anderen Alten in einer Scheune verbrannt wurde. Nach dem Krieg ging Anna hin, besuchte mehrere Gräber. Aber sie erfuhr nichts Näheres.

Sie kam mehrmals nach Minsk, einmal reisten die Geschwister zu dritt. Ihr Haus in Minsk blieb verschont, sie versuchten es, dort einige Male reinzukommen, es zu betreten, aber die neuen Bewohner ließen sie nicht rein.

Moskau

1945 heiratete Anna – jetzt schon Anna Iossifowna – einen Moskauer und lebte in der Hauptstadt ihr ganzes Leben lang bis sie nach Deutschland kam. Ihren künftigen Ehemann lernte sie in Moskau kennen, wo sie bei einer Konferenz der Unionsstaatsanwaltschaft für Minderjährige Vorträge zu fünf Tagesordnungspunkten hielt.

Sie und ihr Mann hatten ein gleiches Unglück – seine Mutter kam auch in Minsk ums Leben. Er absolvierte das Luftfahrthochschule und war am Forschungsinstitut 17 tätig, nahm an der Gründung dieses Instituts teil und leitete die Informationsabteilung daran. Darüber hinaus beschäftigte er sich mit Literatur, studierte ein Jahr lang am Literaturinstitut, war eine sehr interessante Person und ein fähiger Köpf. Er starb im Jahre 1984 im Alter von 70 Jahren.